Die Stecknadel in Lenins Kopf – Zeitzeugengespräch mit Dr. Wolfgang Welsch

Lenins Konterfei: in Fluren, Büros, Seminarräumen. Bis ins Klassenzimmer hinein verfolgten einen die Blicke des russischen Revolutionärs. Ein „dummer“ Jungenstreich machte Wolfgang Welsch schon früh darauf aufmerksam, dass die DDR ein Unrechtsstaat sein muss. Er hatte als Schüler aus einer Laune heraus, das Bild des Genossen Lenin in seinem Klassenzimmer mit einer Stecknadel versehen. Dies machte sogar das MfS (= Ministerium für Staatssicherheit) aufmerksam. Mit Androhung drakonischer Strafen für jeden einzelnen Schüler wurde versucht, den „Verbrecher“ dingfest zu machen: ohne Erfolg.

Dieses Schlüsselerlebnis öffnete Herrn Welsch die Augen: er musste aus diesem Land fliehen, was leider misslang. Insgesamt sieben Jahre verbrachte er ab 1964 im Gefängnis, unter anderem wegen „staatsgefährdender Propaganda“. Doch in dieser Zeit wurde er selbst zur unangenehmen Stecknadel im Kopf des Systems.

Mit viel Mut und Verstand machte er Amnesty International auf sich aufmerksam und wurde schließlich 1971 von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft. Auch nach seiner Befreiung blieb er weiterhin unangenehm für die Deutsche Demokratische Republik, indem er als Fluchthelfer insgesamt über 200 Menschen zur Freiheit verhalf. Ostdeutschland dankte es ihm mit drei misslungenen Mordversuchen. Die Stecknadel ließ sich nicht aus dem Kopf ziehen…

Für uns junge „Wessis“ ist die DDR meist nur ein Kapitel in der langen Geschichte Deutschlands und Herr Welsch stellt heute noch fest, dass die Propaganda des Unrechtsstaats bis heute seine Wirkung zeigt in Form von Ostalgie und einem verklärten Blick in die Teilung Deutschlands. Als Zeitzeuge erinnert er uns daran, dass in diesem Kapitel tragische Schicksale stehen, die bis in die Gegenwart wirken.

Wir danken Herrn Welsch ganz herzlich für seinen Besuch, ebenso richtet sich ein Dank an Herrn Gebhardt von der Hanns Seidel Stiftung für sein Engagement an unserer Schule.

Sebastian Gibtner StR (RS)